Kapitel 40

Ein Trommeln wie aus weiter Ferne drang an Adelaides Ohr, als sie sich im Schatten einer verkrüppelten Eiche ausruhte. Sie legte den Kopf schief und lauschte. Das Geräusch wurde lauter und kam näher. Die Vorahnung ließ sie aufspringen. Um ihren Blick gegen die Strahlen der Sonne abzuschirmen, legte sie die Hand an die Stirn. In einiger Entfernung zeigten sich drei Reiter, die auf sie zuhielten.

Endlich.

Sie winkte mit den Armen, um sich bemerkbar zu machen. In der letzten Stunde hatten düstere Gedanken sie gequält, was mit Isabella geschehen würde, wenn ihr Rettungsversuch scheiterte. Sie hatte gebetet und Pläne geschmiedet, wie sie Petchey überlisten und ihn dazu bringen konnte, ihre Familie in Ruhe zu lassen. Unzählige Gedanken waren wirr durch ihren Kopf gekreist, doch jetzt, wo sie Gideon sah, war alles wie weggeblasen. Nur ein Gefühl blieb: Ihr Ehemann musste sie in die Arme schließen und sie halten.

Mit zitternden Lippen und Tränen in den Augen flog Adelaide in Gideons Arme und klammerte sich an ihn.

„Er hat Saba getötet.“

Das war nicht das, was sie hatte sagen wollen, doch wahrscheinlich war es das gewesen, was sie sagen musste.

Gideon streichelte ihr Haar. „Ich weiß, Sonnenschein. Ich weiß.“

Er legte sein Kinn auf ihren Kopf und streichelte ihren Rücken, während sie an seiner Brust weinte. Nach und nach schien seine Kraft auf sie überzugehen und ihre Trauer zu verdrängen. Er legte sanft seine Hände auf ihre Schultern und schob sie leicht zurück, um ihr in die Augen zu sehen.

„Geht es dir besser?“

Sie biss sich auf die Lippen, um ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen, und nickte.

„Gott sei Dank.“ Wieder zog er sie in seine Arme und küsste ihre Stirn. Am liebsten wäre sie stundenlang so stehen geblieben, doch nach einer kurzen, festen Umarmung ließ er sie los und trat zurück. Er hatte recht. Isabella wartete auf sie. Sofort fingen Adelaides Gedanken wieder an, um verschiedene Ideen für ihre Rettung zu kreisen.

„Miguel wird dich nach Hause bringen.“

Der Gedankenwirbel in ihrem Kopf hielt jäh inne.

„Wie bitte?“ Sie konnte nicht nach Hause. Nicht jetzt.

Gideon fuhr mit dem Finger über ihre Wange. „Du hast heute schon genug durchgestanden, Liebling. Überlass uns jetzt diese Sache.“

Adelaide hob ihr Kinn und sah ihm fest in die Augen. „Ich gehe nicht nach Hause, Gideon.“

Er sah sie überrascht an, doch dann wurde sein Blick fest. „Doch. Das wirst du tun.“

Er konnte sie von dieser Rettungsaktion nicht ausschließen. Das würde sie nicht zulassen. „Denk doch mal nach“, widersprach sie. „Ich habe verschiedene Ideen, wie wir unsere Tochter retten können.“ Als er nichts erwiderte, fuhr sie fort: „Ich weiß, wie man mit einer Waffe umgeht, und du brauchst jeden verfügbaren Helfer gegen Petchey.“

In dem Moment, wo die Worte ihren Mund verlassen hatten, wusste sie, dass er ihr nicht zustimmen würde. Sein Gesicht wurde rot, als er den Hut nahm und ihn sich so fest auf den Oberschenkel schlug, dass es staubte.

„Genau wegen diesem Mistkerl solltest du nach Hause zurückkehren, Addie. Er hat dein Pferd erschossen und hätte das Gleiche mit dir getan, wenn sich ihm die Möglichkeit dazu geboten hätte. Ich habe mir den ganzen Morgen schreckliche Sorgen gemacht. Jetzt, wo ich dich wohlbehalten wiederhabe, werde ich dich auf keinen Fall mehr in die Nähe dieses Unmenschen lassen.“

„Du bist derjenige, den er tot sehen will.“ Adelaide streckte ihm die Arme entgegen. „Er hat schon einmal versucht, dich umzubringen, und ich werde nicht zulassen, dass er ein zweites Mal die Möglichkeit dazu bekommt, nur weil du nicht genug Männer hast, die dir den Rücken frei halten. Selbst wenn du mich nicht dabeihaben willst, brauchst du Miguel.“ Adelaide versuchte vergeblich, ihre Stimme etwas zu senken und ruhiger weiterzusprechen, bevor sie völlig außer Kontrolle geriet. Sie atmete tief durch. „Ich kann dir helfen, Gideon. Ich verspreche, nicht unvernünftig zu sein. Ich bleibe in Deckung und überlasse dir diese Sache. Aber irgendjemand wird nach Isabella schauen müssen, während du mit deinen Männern Petchey verfolgst. Lass mich mitkommen. Bitte.“

Er wandte den Blick ab und starrte in den Himmel. Die Muskeln an seinen Wangen zuckten, während er über ihre Worte nachdachte. Sie presste die Lippen zusammen und wartete hoffnungsvoll auf seine Antwort.

Schließlich wandte er sich ihr wieder zu und wies mit dem Hut in der Hand auf sie. „Du tust genau das, was ich dir sage, und bleibst in Deckung, wenn wir ihn gefunden haben.“

Bevor er seine Meinung noch einmal ändern konnte, nickte sie eifrig. „Das verspreche ich. Danke, Gideon.“

Er grummelte leise vor sich hin, setzte sich den Hut wieder auf und ging zu seinem Pferd hinüber. Er stieg auf und bot ihr mit finsterer Miene seine Hand, um ihr beim Aufsteigen zu helfen.

Auch wenn er wütend war, wusste Gideon sich immer noch zu benehmen. Sie lächelte ihn an und ergriff seine Hand. Er fasste ihren Unterarm, aber anstatt sie hochzuheben, beugte er sich hinab und flüsterte ihr ins Ohr. „Du bleibst besser unverletzt, Addie. Ich könnte nicht mit dem Gedanken leben, dass dir meinetwegen etwas zugestoßen ist.“ Die Liebe in seinen Augen verdrängte seine Angst. Ihr Herz schmolz bei seinem Blick dahin.

„Ich gebe mein Bestes“, versprach sie, „aber ich erwarte das Gleiche von dir. Ich habe genug davon, dich zusammenzuflicken und zu pflegen.“

Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Abgemacht.“

Adelaide stellte ihren Fuß in seinen Steigbügel, damit Gideon nicht ihr ganzes Gewicht halten musste, und schwang sich hinter ihm in den Sattel. Dann legte sie ihre Arme um Gideons Brust, um nicht seine Bauchwunde zu berühren. Sie konnte dem Drang nicht widerstehen, ihre Handflächen zu öffnen und seinen Körper zu spüren. Sein Herz raste unter ihren Fingern.

James ritt an ihre Seite. „Hat Petchey etwas gesagt, als er Isabella geraubt hat?“

Adelaide wurde rot. Sie setzte sich ein wenig aufrechter hin und nahm ihre Hand von Gideons Brust, doch ihr Mann griff danach und legte sie zurück. Plötzlich fühlte sich alles ein bisschen leichter an.

Sie sah James an. „Ich erzähle es euch auf dem Weg. Lasst uns reiten.“

* * *

Sie folgten Petcheys Spuren etwa eine Meile, bis Gideon sie mit einer Armbewegung zum Stehenbleiben brachte. Sie näherten sich der Grenze seines Landes. Ihm war plötzlich eingefallen, dass es hier irgendwo eine halb verfallene Blockhütte geben musste. Er bedeutete den anderen, ihm langsam zu folgen, und zeigte in Richtung einiger Bäume in der Nähe.

„Gibt es hinter diesem Wäldchen nicht eine Hütte, Miguel?“

Der vaquero sah sich um und nickte schließlich. „Sí, patrón. Ich glaube schon.“

„Das wäre doch ein guter Ort, um sich zu verstecken, wenn man nahe genug an der Ranch sein will, um sie beobachten“, überlegte James.

Gideon nickte. „Genau das habe ich auch gedacht.“

Adelaide hob den Kopf von Gideons Rücken. Gideon drückte ihren Arm gegen seine Seite, damit sie nicht losließ. Es fühlte sich gut an, sie so nahe bei sich zu haben, doch genau diese Nähe machte ihm große Sorgen. Er hätte sie am liebsten immer noch nach Hause geschickt, doch jetzt war es zu spät. Oh, er wusste, dass sie auch in Zukunft oft ihren Kopf durchsetzen würde. Das war typisch Adelaide. Aber querschlagende Kugeln interessierten sich nicht dafür, ob sie unschuldige Frauen oder gewissenlose Verbrecher trafen.

Gott, schütze sie, wenn ich es nicht kann. Und trage Bella durch all dieses Übel hindurch.

Während er sich gegen die Angst wappnete, die ihn zu überwältigen drohte, richtete Gideon seine Aufmerksamkeit auf seinen Schafhirten. „Nimm meine Frau und reite auf die Rückseite, Miguel. Haltet euch hinter den Bäumen im Verborgenen. Ich weiß nicht, ob noch andere Männer bei Petchey sind. Sichert die Pferde, die dort stehen, und wartet darauf, dass James und ich eingreifen.“

Er nahm den Fuß aus dem Steigbügel, damit Adelaide absteigen konnte. Ihr Körper streifte an ihm entlang, als sie sich nach unten gleiten ließ. Er genoss ihre Berührung. Sein Blick flog über ihr Gesicht und er nahm jede Linie und Kurve in sich auf. Sie waren gerade einmal zwei Wochen verheiratet, doch sie hatte sein Herz schon vollständig erobert. Wenn ihr irgendetwas geschah, würde er diesen Schmerz nicht überleben.

Gideon zog sein Gewehr aus dem Holster und gab es ihr. „Benutz es, wenn du musst, aber begib dich nicht in Gefahr.“

Ihre Hände schlossen sich um die Waffe. „Sei vorsichtig, Gideon.“

Er hatte sein ganzes Leben mit dieser wunderbaren Frau noch vor sich. Er hatte fest vor, ohne einen Kratzer aus diesem Kampf hervorzugehen, um es auch genießen zu können.

„Petchey wird uns sicher bewaffnet erwarten, also werden James und ich versuchen, uns durch die Bäume anzuschleichen. Wir bleiben in Deckung und prüfen, ob wir irgendwie ins Haus gelangen können. Dann müssen wir improvisieren. Aber unser erstes Ziel wird es sein, Bella aus dem Haus zu holen, bevor Gewalt ausbricht.“

Gideon blickte jedem Mitglied seiner kleinen Armee in die Augen und fühlte sich wie sein Namensparton, der biblische Krieger, der mit einer Handvoll Männern dem Feind entgegengetreten war. Gott hatte ihm den Sieg geschenkt. Hoffentlich würde sich die Geschichte heute wiederholen.

Dann richtete Gideon den Blick auf die Hütte, die in einiger Entfernung zwischen den Bäumen stand. Er überlegte, wo er sich verstecken würde. Wie er auf das Gebäude zuschleichen könnte. Wo Bella sein würde. Dann richtete er seine Augen noch höher.

„Möge der Herr uns den Sieg schenken und uns vor allem Übel beschützen.“

Ein Chor aus lautem „Amen!“ antwortete ihm, bevor die zusammengewürfelte Gruppe aus Kämpfern langsam voranschlich.

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